Sichuan: Berg- und Talfahrt in vielerlei Hinsicht

Drei Wochen Sichuan in einem kurzen Reisebericht zusammenzufassen, ist fast unmöglich. Von heissfeuchtem Jungelklima, strömendem Regen (etwas zu viel) bis klirrende Kälte, Schneefall und klare Sternenhimmel auf über 4500m.ü.M., von perfekten Strassen bis üblen Baustellen-Schlammpisten, von kindischem chinesischen Chilbi-Tourismus bis rauer wild-west-Stiummung haben wir alles erlebt.

bild

Langmusi - Bifenxia (nahe bei Chengdu)

Auf dem ersten Abschnitt Sichuans ging es vom Grasland-Nationalpark Richtung Chengdu. Ein Zwischenstopp in Songpan (erste Visumverlängerung) wurde länger als geplant, da gerade noch ein grosses Festival in der Stadt war.

Ein langer Downhill bis in die Ebene Chengdus lag vor uns. Was so schön begonnen hatte, strapazierte während zwei Tagen die Nerven.

Auf einmal fehlte der Seitenstreifen auf der schmalen und vielbefahrenen Strasse, es regnete fast ununterbrochen und die Tunnels waren eng und stockfinstern. Ich habe in den letzten Monaten eine Tunnelphobie entwickelt, so dass wir im engen Tal einige echt komplizierte Umwege unter die Räder nahmen um die unbeleuchteten Löcher zu umfahren. In diesem Gebiet hatte im Jahr 2008 das "Wenchuan"-Erdbeben nicht nur zehntausende Menschenleben gekostet, sondern die Landschaft auch stark verändert. In Yingxiu, dem Epizentrum, besuchten wir ein eindrückliches Denkmal und interessantes Museum. bild
Die Grossstadt Chengdu umfuhren wir auf einem Radweg "à la suisse" und strampelten auf Hinterlandstrassen durch wunderschönes Jungelgebiet zur Bifenxia Pandazuchtstation. Aber Achtung, da war auf einmal die Strasse gesperrt: Erdrutsch. Zu Fuss ging es weiter über einen schlammigen Trampelpfad. Die Einwohner der nächsten Dörfer hatten ihre Autos und Motorräder abgestellt und halfen uns, die Fahrräder durch den Sumpf zu stossen.

Die putzigen Pandas sind leider stark vom Aussterben bedroht und leben nur noch in dieser Region Chinas in freier Wildbahn. Die Pandastation am frühen Morgen war ein lohnenswerter Ausflug. Bei einer kleinen Wanderung durch die Bifenxia-Schlucht mussten wir dann doch noch einsehen: "Gehe nie am chinesischen Nationalfeiertag wandern!"

bild bild
Sichuan-Tibet Fernstrasse (Bifenxia - Litang)
Das Wetter meinte es anfangs auch auf diesem Abschnitt nicht gut. Weitere drei Tage schwitzten wir häufig unter den Regenkleidern auf der Sichuan-Tibet Fernstrasse. Viele junge Chinesen radeln während den Herbstferien auf dieser Strasse ca. 250km bis Kangding. Zwischen den Jungs kamen wir uns vor wie zwei Senioren. Zwar mochten wir es trotz doppelt so viel Gepäck locker mit den Studenten aufnehmen. Doch mit mindestens zehn Jahren mehr auf dem Buckel und einigen Monaten Erfahrung im Sattel, wussten wir unsere Kräfte doch etwas besser einzuschätzen. bild
bild Allmählich wurden die Pässe höher. Auf dem ersten Pass über 4000m überraschte uns glatt ein Wintereinbruch. Eisige Kälte, 20cm Neuschnee und dann auch noch Hagel. Endlich kamen die dicken Handschuhe (seit der Schweiz ganz unten im Gepäck) zum Einsatz. Bei einer tibetischen Familie konnten wir im Gästezimmer direkt über dem Yakstall wieder Wärme tanken.
Wir wurden vorgewarnt, dass uns bis Litang auf ca. 200km mieserable Strassenverhältnisse erwarteten würden. Wir wussten, dass fast alle ihre Fahrräder auf diesem Abschnitt verladen. Auf der Abfahrt auf den ersten "schlechten" Kilometern kam bei uns richtiges Bike-Feeling auf. Naja, ohne die 30kg Gepäck und mit Federung hätte es noch mehr Spass gemacht, aber ein bisschen Dreck hat noch Niemandem geschadet. Jetzt wollten wirs wissen! Nach sieben Monaten im Sattel sollten die 135km, 3700Hm auf einer Höhe über 4000m in zwei Tagen doch machbar sein, auch auf schlechter Strasse...? Mit reichlich Vorrat für die dünnbesiedelte Strecke verliessen wir das Hotel in Yajiang bei Sonnenaufgang. Schon kamen die ersten Taxifahrer auf uns zu und wollten einen Transport nach Litang anbieten. Dankend winkten wir ab und ernteten ein hämisches Lächeln, als wollten sie sagen: "Auch ihr kommt noch auf mein Angebot zurück".
Fast schon etwas euphorisch strampelten wir von 2600m hoch Richtung Pass (4650m.ü.M.). Oh ja, die Baustelle war eine grosse Schlammschlacht. Im feuchten Dreck fühlte es sich an, als würde man mit einem Plattfuss fahren. Regelmässig mussten wir Schlamm (oder war es Beton?) zwischen den Schutzblechen, Bremsen und Rädern herauskratzen - anfänglich noch zimperlich mit einem Stecklein, irgendwann mit blosen Händen. Sowieso war ich den dreckspritzenden LKWs schon lange zum Opfer gefallen. Die vielen "Daumen-hoch" und "Chaiooo" aus den vorbeifahrenden Autos motivierten uns, einfach weiterzustrampeln. bild
Hinter dem Pass auf 4360m stellten wir ausgepowert das Zelt in einem Steinbruch auf. Eine frische Schicht Kleider über die schmutzige Haut, damit wenigstens der Schlafsack sauber bleibt, 500g Reis und Gemüse, eine Packung Biscuits obendrauf, dicke Handschuhe über die Füsse und rein in's Zelt. So macht man das, wenn die Energiereserven aufgebraucht sind.

Die restlichen Kilometer schafften wir am nächsten Tag auch noch. Die Strasse war besser, nur etwas staubig. Dreckig verschmiert und stolz erreichten wir Litang, "der wilde Westen Chinas", und wurden glatt von den ersten zwei Hotels abgelehnt. Da putzen wir einmal das Gesicht und schon klappte es ohne Probleme.

bild bild
Road of the thousand landscapes (Litang - Shangri-La (Yunnan)

Dieser Abschnitt war ohne Zweifel landschaftlich der Schönste unserer ganzen bisherigen Reise. Auf einer Höhe zwischen 2600 und 4708 m.ü.M. ging es durch wunderschöne Wälder (Waldgrenze über 4000m - von karger Gebirgslandschaft nichts zu merken) zur Zeit in herrlichen Herbstfarben, hinein in tiefe Schluchten, entlang klarer Bergbäche durch Natur pur. Oft war weit und breit keine Menschenseele und auch kein Verkehr zu sehen. Ab und zu kamen wir vorbei an einem tibetischen Weiler - das Dorfbild ist ebenfalls wie aus einem Bilderbuch. Häufig vergingen keine 5km im Sattel, wo wir nicht stoppten und einfach nur die Aussicht genossen.

bild bild
Ein passender Abschluss in Sichuan war die Übernachtung bei den heissen Quellen von Ranwu. Als wir im kleinen Bergdorf nach den Quellen fragten und nur Kopfschütteln als Antwort bekamen, waren wir schon ein wenig enttäuscht. Hatten wir uns doch den ganzen Tag vorgestellt, wie wir im heissen Bad relaxen. Wir gaben nicht so schnell auf und zu hinterst im Dorf, einige km abseits der Strasse standen wir vor einem erstaunlich "resort-artigen" Gebäude. Die Besitzer waren gerade mit den Polizesten am Pokern und hatten überhaupt kein Interesse an uns. Etwas Geduld (bis das Spiel zu Ende war) zahlte sich aus und uns wurde ein einfaches Zimmer zur Verfügung gestellt. Als einzige Gäste konnten wir uns prächtig erholen. bild
Aber ...

Trotz all den Schwärmereien gibt es doch auch zwei, drei Sachen, die uns hier im fernen Osten nicht gefallen und das muss auch erwähnt werden.

Die Huperei vertragen wir einmal besser, einmal schlechter. Unverständlich, dass auf einer völlig verkehrsfreien Strasse ein LKW mit seinem vierfach verstärkten Quitschhorn bei jeder Krümmung der Strasse volle 5 Sekunden auf die Hupe drücken muss. Jedes Reh und jedes Murmeltier in ganz China muss entweder taub oder dem Schreckenstod erlegen sein. In Kombination mit einem unbeleuchteten Tunnel legt das Hupen auch meine Nerven blank. Laute Gefluche - wie ich es selber von mir nicht kannte - blieben aber ungehört (kein Wunder, ist ja auch leiser als 120db).

In China haben wir gesehen, was Umweltverschmutzung wirklich heisst. Nebst der ganzen Industrie- und Verkehrsverschmutzung ist uns das Abfallproblem besonders ins Auge gestochen. Mit grosser Mühe versuchen wir im Supermarkt etwas einzukaufen, was nicht mehrfach plasikverpackt ist. In den abgelegensten Gebieten liegen im Wald Dosen und Plastikbeutel herum. Am schlimmsten sehen die Flüsse aus - wir glauben, dass diese Verschmutzung nie wieder rückgängig gemacht werden kann. Und das Verständnis scheint in der Bevölkerung schlichtweg nicht vorhanden zu sein. Was soll man sagen, wenn ein Vater beim Mittagessen im Restaurant den Plastikbecher rückwärts aus dem offenen Fenster wirft, sobald er ihn ausgetrunken hat... Und das ist nur eines von 1000 Beispielen, wo wir hilflos - leider sprachlos (chinesisch) dastehen.

zu den Bildern